Interview mit Tim Ash, SiteTuners – Personas sind nutzlos

Tim Ash, SiteTuners

Tim Ash, SiteTuners

Tim Ash, einer von Amerikas populärsten Conversion-Optimierern, hält nichts von starren User-Profilen. Und auch das Thema Responsive Design wird grob überschätzt.

Welche Trends sehen Sie in puncto Conversionrate Optimization, welche Rolle spielt mobile?

Tim Ash: Jedes Jahr sprechen wir vom Jahr der mobilen Webnutzung und jetzt ist es endlich da. Viele unsere Kunden berichten von fünf bis 25 Prozent Online-Conversions, die bereits durch mobile ausgelöst werden. Das ist nicht der Heilsbringer für eCommerce. Die Leute kaufen lieber auf großen Bildschirmen, aber wenn es um kleine Handlungen geht, also Leadgenerierung und ähnliches, dann wird mobile immer wichtiger.

Aus unserer Sicht braucht man ein dediziertes, mobiles Conversion-Erlebnis.

Anders als die Web-Experience?

Tim Ash: Ja. Man muss sich entscheiden, ob man die Nutzer auf eine mobile Site umleitet. Es ist eine zweite Frage, ob ich eine App benötige. Apps braucht man aus meiner Sicht nur, wenn man erwartet, dass die Nutzer mehrfach mit einem Service interagieren. Sonst reicht die mobile Website. Kein Mensch braucht noch mehr App-Chaos.

Braucht man dann ein Responsive Design oder besser gleich zwei separate Sites?

Tim Ash: Nicht unbedingt. Es ist ein Hype derzeit, aber es ist so ein Bisschen wie Sex unter Teenagern. Jeder findet es spannend, aber keiner weiß genau, was er da macht. Responsive Design hat drei Stufen und kaum jemand macht das richtig.

Die erste Stufe ist, alles auf einer Seite entweder zu verbreitern oder enger zusammen zu schieben. Das ist ein echtes Problem. Oftmals zerstört es Layout-Beziehungen und verletzt das Gesetz der Nähe. So erscheint eine Navigationsleiste, die eigentlich rechts neben den Inhalten war plötzlich ganz rechts außen auf einem riesigen Bildschirm. Man muß den Kopf um zehn Grad drehen, um es überhaupt zu sehen.

Sehen wir das gerade bei Amazon?

Tim Ash: Genau. Amazon ist das perfekte Beispiel um zu zeigen, wie man es nicht macht. Der Suchschlitz dehnt sich aus, bis er 20 Zentimeter lang ist und dann ist er gar nicht mehr als Texteingabefeld erkennbar. Genau solche Dinge. Wenn irgendjemand sagt, dass man es schafft, dass die gleiche Seite sowohl auf einem Tablet als auch auf einem 80-Zoll-Plasmabildschirm gut aus sieht, glaube ich das nicht.

Die zweite Stufe wäre, dass man Breakpoints definiert, an denen dann von einem Layout in ein anderes gewechselt wird. Das Stretching passiert dann nur noch innerhalb bestimmter Größenbandbreiten. Ganz wenige Websites machen das gut.

Für mich geht es aber noch weiter. Eine echte, gute mobile Experience stellt den User in den Mittelpunkt und fragt, was der eigentlich mobil machen möchte. Man muss nicht unbedingt das replizieren, was man auf dem großen Bildschirm macht.

Amazon - Tim Ash sieht in der Umsetzung des Responsive-Layout von Amazon ein Negativ-Beispiel

Amazon – Tim Ash sieht in der Umsetzung des Responsive-Layout von Amazon ein Negativ-Beispiel

Würden Sie ihren Kunden also empfehlen, zwei Websites zu machen oder zu behalten, eine für mobile und eine für Desktop und Tablet?

Tim Ash: Das ist genau das, was wir empfehlen. Das funktioniert in der Praxis viel besser und ist viel preiswerter zu entwickeln. Wir empfehlen für Desktop eine zentrierte Seite mit fester Breite von vielleicht 960 Pixel, mit variablen, leeren Seitenbereichen. Das funktioniert sowohl auf dem Tablet als auch auf dem Desktop. Nur muss man die Fingerbedienung beachten. Man muss eben Buttons größer machen. Tatsächlich beschäftigen wir uns in den Trainings viel damit, Unnötiges aus Seiten zu entfernen.

Mobile ist eine ganz andere Angelegenheit

Ein zweiter Trend hier in Europa ist das Thema Personalisierung und Targeting. Ist es eine gute Idee, dem User die Kontrolle zu nehmen und ihm personalisierte Inhalte auszuspielen?

Tim Ash: Das Web ist vom Ursprung her ein zustandsloses Medium. Es erkennt keine Menschen. Das Problem wird noch größer, wenn man mit unterschiedlichen Devices unterwegs ist. Idealerweise funktioniert es natürlich, wenn es einen LogIn-Mechanismus gibt, der den Menschen am Bildschirm eindeutig wiedererkennt.

Ist das nicht der Fall, entsteht ein Bruch in der User Experience, wenn die gleiche Seite auf unterschiedlichen Geräten verschieden aussieht.

Nichts desto trotz haben viele Nutzer ähnliche Verhaltensweisen. Wenn man zum Beispiel etwas für sein Geschäft macht, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass man das während der Arbeitszeit von seinem primären Rechner aus macht. Das kann man eigentlich gut erkennen. Die erste Verteidigungslinie für mich ist Marketing-Automatisierung, Big Data ist super für riesige Firmen. Aber Marketing-Automatisierung sollte jeder machen. Das ist effizient. Wenn ein User bekannt ist, sollte man ihn erkennen können und das in Beziehung zu einem CRM setzen.

Und dann sollte man einfache Personalisierung machen. Erst krabbeln, dann gehen, dann rennen. Heute spricht doch jeder darüber, als wäre es unverzichtbar eine 1:1-Situation mit jedem Besucher aufzubauen. Nur jede Tausendste Firma ist da auch nur halbwegs in der Nähe. Es geht um rudimentäre Segmentierung. Man muss Erstbesucher anders behandeln, als Wiederholer. Da fängt es an.

Ich werde im Rahmen der Conversion Conference in Berlin über die Entwicklungsstufen der Conversionrate Optimierung sprechen. Die Nutzung von Big Data ist die letzte Stufe. Da fängt man nicht an.

Also zum Beispiel die Modellierung von Personas?

Tim Ash: Um Gottes Willen nein. Ich halte Personas für absolut ungeeignet für das Web. Das verwenden Werbeagenturen um Zielgruppen zu segmentieren, aber die haben keinerlei Bedeutung im Bereich Conversion.

So Dinge wie: Mary ist eine coole, in der Stadt lebende, berufstätige Frau, die gerne am Wochenende nach Manhattan geht. Das ist doch komplett nutzlos. Was viel besser funktioniert sind Rollenmodelle und Aufgabenmodelle. Die aktuelle Beziehung eines Nutzers zur Website ist entscheidend. Welche Aufgabe will ein User erfüllen. Innerhalb dieser situativen Modelle gibt es freilich unterschiedliche kognitive Vorlieben und Ausprägungen. Manche Experten verwechseln das mit Personas. Nutzer sind eventuell eher kommunikativ und auf andere Menschen fokussiert, andere sind eher optisch ausgerichtet. Das sind wichtige und relevante Parameter, aber das hat nichts mit Personas zu tun. Personas sind theoretisch erfundene Misthaufenprofile.

Nein, im Ernst: Rollen und Aufgaben sind viel haltbarer. Jeder von uns ist mal in der Situation, jemand, den er nicht oder nur wenig kennt, ein Geschenk machen zu wollen. Diese Situation hat nichts mit unserem eigentlichen „Profil“ zu tun. Wir schlüpfen bewusst in eine andere Rolle. Und das andauernd. Wie soll ein Persona-Profil das abbilden?

Sie zweifeln also auch an der Idee des Neuro-Marketing?

Tim Ash: Nein, keineswegs. Das sind echte Unterschiede, ob ein Nutzer rational an eine Entscheidung ran geht, ob er sich von einer Autorität leiten lässt, oder ob er sich danach richtet, was viele Nutzer vor ihm entschieden haben. Das muss man berücksichtigen. Aber Personas, so wie die Werbeagenturen das verstehen, sind ziemlich nutzlos.

Derzeit scheinen viele Unternehmen darüber nachzudenken, auch die Preise in Echtzeit und individuell an die Userbedürfnisse und deren Kaufwahrscheinlichkeit anzupassen. Funktioniert das?

Tim Ash: Im Bereich Promotion macht das ja jeder Metzger an der Ecke. Der Stammkunde bekommt Rabatt oder ein paar Gramm mehr. Man sollte auf jeden Fall das Wissen aus der Kaufhistorie nutzen und dafür einen Entscheidungsbaum aufbauen.

Und wie steht es mit Preiserhöhungen, wenn die Kaufwahrscheinlichkeit oder sogar die Notwendigkeit hoch sind?

Tim Ash: Das ist einfach nur eine Frage von Angebot und Nachfrage. Passiert bei Hotelbetten und Flugsitzen andauernd. Die Frage ist nur, ob man das gut in Echtzeit hinbekommt. Ich sehe da kein Problem. Jeder soll seinen Gewinn maximieren.

Riskiert man nicht Imageschaden, wenn sich Nutzer auf Social Media darüber beschweren, dass sie zu viel bezahlt haben?

Tim Ash: Wie wertvoll ist Image? Ich glaube nicht so sehr an Kundenloyalität, die unabhängig vom konkreten Angebot wirkt. Aber was man auf keinen Fall tun sollte: Man sollte die Nutzer nicht aus Gewohnheiten heraus reißen. Wenn ein regelmäßig wiederkehrender Kunde imm 10 Dollar bezahlt ist es eine schlechte Idee, plötzlich zwölf zu verlangen. Das zwingt ich n praktisch dazu eine Entscheidung über die er sonst nicht nachgedacht hätte, neu zu treffen.

Herr Ash, vielen Dank für dieses Gespräch.

Das Interview führte Frank Puscher

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