Interview: Was verbindet Karl Kratz, CRO und Helene Fischer?
Welche Relevanz hat die Conversion Optimierung für deine Arbeit? Wie setzt du Conversion Optimierung um?
Schöne Einstiegs-Frage! Die „Conversion Optimierung“ wird in der Praxis gerne mit „A/B-Tests“ und „roter Button / grüner Button“ gleichgesetzt. Damit ist zum einen eher die Landingpage- oder Komponenten-Optimierung gemeint und zum anderen wird der eigentliche Umfang der Konversions-Optimierung dabei nur angekratzt.
Konversions-Optimierung ist für mich integraler Bestandteil fast aller Unternehmens-Überlegungen und Entscheidungen: So hat mich vor einiger Zeit ein Adsense-Test sehr geerdet und vor allem sehr, sehr demütig gemacht. Wenn man nach einigen Jahren Adsense-Einnahmen feststellt, dass das 1-Millionen-Euro-Blau eigentlich selten die beste Wahl war und andere Linkfarben oft deutlich bessere Resultate abgeliefert haben, beißt man sich nach einer Überschlagsrechnung des entgangenen Gewinns erst einmal sehr in den eigenen Hintern. Und dann macht es *klick* und das Gehirn sagt einem: „Du weißt NICHTS! Du weißt nie etwas, bevor Du es nicht getestet hast. Und selbst dann ist es noch nicht sicher.“
Schauen wir uns mal eine ganz normale Entwicklungs- und Lernkurve in der Konversions-Optimierung an:
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Ganz am Anfang überzeugt irgend ein Projektleiter in mehreren Anläufen den Geschäftsführer davon, dass Tests doch Sinn machen könnten. Dann findet eine erste, zaghafte Optimierung auf Komponenten-Ebene statt. Das sind meist einfache A/B-Splittests auf der Präsentationsschicht: Unterschiedliche Überschriften, Bilder, Texte und Schaltflächen werden gegeneinander getestet und dann der „Sieger“ eingesetzt. Hier findet aus einer mathematisch/ prozessualen Sicht oft ein Haufen nicht belastbarer Unsinn statt; aber das ist nicht schlimm: Viel wichtiger ist, dass das Unternehmen generell die Bereitschaft zur stetigen Optimierung zeigt. Alles andere kommt später.
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Die nächste Entwicklungsstufe umfasst bereits die ganzheitliche Betrachtung der gesamten Landingpage: Eventuell finden multivariate Tests statt, und es wird der Einfluss der unterschiedlichen Faktor-Kombinationen gegeneinander getestet. Wer noch weiter ist, testet unterschiedliche Funktionsprinzipien, Prozesse und Methoden der einzelnen Seiten gegeneinander. Beispielsweise: „Funktioniert der Kauf besser, wenn zuerst die Adresse eingetragen wird oder wenn zuerst bezahlt wird?“
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Die nächste Weiterentwicklung, die sehr gut in einigen Unternehmen beobachtbar ist, ist die Optimierung auf Pfad-Ebene. Dabei wird zum Beispiel das Wertversprechen des Angebots so dekonstruiert, dass es möglichst frühzeitig einen Platz in der Wertschöpfungskette des Konsumenten findet.
Ein schöner Klassiker dieser Methode ist die Risikolebensversicherung: Anstatt Komponenten- oder Landingpage-Tests gegen das Produkt laufen zu lassen, beschäftigt sich der Konversions-Optimierer mit den Pfaden der späteren Kunden, den Ereignissen die auf diese Kunden einwirken und dem konkreten Bedarf, der daraus erwächst. So wird ein smartes Versicherungs-Unternehmen mit Menschen interagieren, die gerade ein Haus kaufen möchten: Der Kredit dafür wird in der Regel mit einer Risikolebensversicherung abgesichert. Oder mit Menschen, die gerade ein Baby bekommen haben: Es soll ja nicht gleich die ganze Herde in den finanziellen Ruin getrieben werden, wenn Papa sturzbetrunken mit 180 km/h gegen den Baum fährt und die ganze Sache nicht überlebt.
Allein die Optimierung auf diese zwei Pfade ist viele hundert mal effizienter als eine Optimierung auf Landingpage- oder Komponenten-Ebene. Aus meiner Sicht ist es eine sehr wichtige Aufgabe des Konversions-Optimierers, herauszufinden, was die Menschen wann antreibt etwas bestimmtes zu tun – und wie sie sich dabei „digital outen“.
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Ein weiterer Schritt in der Entwicklung ist die Integration der Konversions-Optimierung in die Unternehmens-Strategie. Dabei werden die formulierten Hypothesen mit Blick auf die Zielsetzung auf nternehmens-Ebene durch unterschiedliche Operationen, Taktiken und Strategien getestet und entsprechend kontinuierlich weiterentwickelt. Diese Art der Konversions-Optimierung ist sehr interdisziplinär und vor allem sehr prozessorientiert. Unternehmen, die heute nicht in der Lage sind, (digitale) Benutzer-Rückmeldungen zu verarbeiten und in den Entwicklungs-Prozess von Produkten zu integrieren, sind auf jeden Fall noch nicht auf dieser Ebene angekommen.
Dennoch ist dieser Einsatz der Konversions-Optimierung einer der wesentlichen Schlüssel für die digitale Transformation von Unternehmen. Es lohnt sich.
Ich hoffe, ich konnte mit diesem kleinen Exkurs die Spanne zwischen „roter oder grüner Button“ versus „Prozess zur dauerhaften Optimierung des Unternehmensmarketings zu unterschiedlichen Spielfeldern, Ereignissen, Kontexten, Technologien und Kanälen“ verdeutlichen.
Konversions-Optimierung ist keine operative Tätigkeit, „wenn die Website fertig ist“, sondern essentieller Treiber des Unternehmens-Marketings. Und das ist verdammt wichtig. Um die Frage zu beantworten: Ja, auch für mich. :-)
Auf welches mobile Gerät kannst du nicht verzichten?
Auf meinen Kopf!!! Und ich würde ungern auf mein MacBook verzichten. Da gebe ich lieber das iPhone her.
Was ist dein Lieblings T-Shirt?
Oha. Aktuell bevölkern vier dutzend T-Shirts meinen Kleiderschrank … meine Favoriten kommen von der SEOCampixx, OnPage.org, Searchmetrics und Michaela von Aichberger.
Dürfen wir einen Blick auf den Home Screen deines Telefons werfen?
Klar:
Welche App benutzt du am häufigsten?
In der Reihenfolge: E-Mail, Kalender, Facebook, SMS, Twitter, Geisterstadt+.
Auf welchem sozialen Netzwerk bist Du am häufigsten zu finden?
Definitiv auf Facebook.
Im Gegensatz zu Geisterstadt+ findet hier eine Nutzung durch die Teilnehmer auf emotionaler Ebene statt: Es wird Klartext gesprochen, es menschelt, es werden Gefühle gezeigt, Privates geteilt, gelacht, geweint, geflucht. Werfen wir einen Blick auf Google+: Es ist ein wenig klinisch-steril, geschäftlich und förmlich. Wer zu viel Privates veröffentlicht, wird gerne genervt aus den Kreisen geworfen.
Wir machen häufiger Geschäfte mit Menschen als mit Unternehmen. Sollte Google+ es tatsächlich schaffen, seine Teilnehmer zu emotionalisieren, gehen die Interaktionen auf der Plattform sicher auch über den latent vorhandenen Sachzwang hinaus. Bis dahin bleibt es einfach die Hülle eines sozialen Netzwerks: Es ist möglich, dort eine zweckdienliche Resonanz mit brauchbaren Resultaten zu erzeugen. Aber Lust empfinde ich kaum dabei.
Was schaust du dir am Morgen als erstes auf deinem Mobiltelefon an?
Meine zwei kleinen Amateurterroristen (Anm. der Red.: Gemeint sind die Kinder). Die sind nämlich auf dem Startbildschirm. Dann ein Blick in die E-Mails.
Wie sieht ein normaler Arbeitstag, wenn es diesen gibt, bei dir aus?
Heiko und ich haben ein paar Stunden Spaß, knobeln an Unvorstellbarem, verzweifeln, haben Stress, skypen, entspannen uns wieder, bauen lustige Sachen für karlsCORE und entwickeln bestehende Online-Assets weiter. Den Rest der Zeit bin ich am Lernen und Staunen, in Hangouts, baue neue Media-Books, experimentiere und teste. Aber irgendwie ist jeder Tag komplett anders. :-)
Welche Herausforderungen rauben Dir den Schlaf?
Keine … ich habe einen sehr gesunden und tiefen Schlaf. In jeder Herausforderung steckt doch eine Chance und dieses sexy Kribbeln im Kopf: Der Reiz des Kampfs, Rückfalls, das Aufrappeln, das Brennen des puren Willen in den Nervenbahnen und dann dieses …. aaaaAAAAAHHHhhhh! Geschafft! Rückblick. Lernen. Nächste Herausforderung.
Eine der größten Bedrohungen unserer Weiterentwicklung ist das berüchtigte Faulhirnfett, welches sich mit sinkendem Selbstanspruch schleichend um unsere grauen Windungen legt: „Läuft doch alles. Nur nichts ändern. Uns geht’s doch gut!“
Ich finde, wir sollten uns über Herausforderungen freuen und uns nicht den Schlaf davon rauben lassen.
Auf welche Entwicklungen in Rahmen deiner Arbeit bist du besonders stolz, wenn Du auf die letzte 12 Monate zurückblickst?
Auf die unglaubliche Entwicklung einiger karlsCORE-Teilnehmer: Wir stellen Online-Marketing-Wissen, -Werkzeuge und -Bauteile in den (virtuellen) Raum. Und die Teilnehmer integrieren das ganze Zeug dann in ihre Unternehmen. Was dabei teilweise herauskommt, lässt mir regelmäßig die Kinnlade herunterklappen. Und ja, da bin ich dann ein bisschen Stolz drauf.
Wie viele Kilometer bist du in den letzten 12 Monaten gereist?
882 GB. Sagt zumindest das Router-Log.
Kannst du uns etwas über dich verraten, das selbst deine Freunde überraschen würde?
Ja. Ungern. Aber ich mache es. Habe vor kurzem den gesamten Tag „Atemlos“ von Helene Fischer in einer Dauerschleife gehört. Zwar die Metal-Version von UMC, aber hey: Das war Helene Fischer. Weiß selbst noch nicht so recht, wie ich damit umgehen soll. Hat eine Menge Dissonanz in mir erzeugt. Ich gebe Bescheid, wenn ich wieder „klar“ bin, ok?
Welchen anderen beruflich Weg hättest du eingeschlagen, wenn Du nicht Online Marketing Guru gewählt hättest?
Haha, „Guru“ habe ich nicht gewählt. Das sagen nur Menschen die nicht wissen, dass ich den ganzen Tag nur fett, faul und bräsig auf meinem Stühlchen sitze und ein bisschen in Facebook rumklicke.
Meine „Karriere“ begann ja mit Informatik und Hochfrequenztechnik. Und wäre 1996 nicht jemand zu mir gekommen und hätte gesagt: „Du, Karle, I will fei au so a Houmpäidsch en demm Endernetz wie Du“, dann wäre vielleicht auch alles ganz anders gekommen. Die Übersetzung vom Schwäbischen ins Hochdeutsche lautet übrigens: „Lieber Karl, bitte erstelle mir eine Website.“
Wie sieht dein Arbeitsplatz genau jetzt aus?
So.
Was ist das letzte Buch (ausser Fredos Geschichten jeden Abend), welches du gelesen hast?
Bei diesen vier Büchern bin ich am zirkulären „Dauerlesen“:
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Marketing Genie
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„Information Retrieval“
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Kribbeln im Kopf
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„Wie nicht sprechen: Verneinung“
Das sind „Dauerbrenner“, die ich seit Jahren besitze. Solche Bücher lese ich dutzendfach und immer wieder – aber eben immer aus dem Blickwinkel des aktuellen Kenntnis-Stands.
Welche Marketingkampagne hat dich in letzter Zeit besonders fasziniert?
Die Plakatwerbung zur Europa-Wahl. Das fasziniert mich wirklich. Weil es so unglaublich ist. Wirklich: Unglaublich.
Bekommt die Conversion Optimierung heute genug Aufmerksamkeit und Ressourcen in Unternehmen? Falls nicht, was sollte deiner Meinung nach passieren, damit sich dies ändert?
Die Frage nach der Aufmerksamkeit ist doch ein verkantetes Wechselspiel aus vorherrschendem Wissen, Stimulation und Positionierung. Ich möchte gerne polarisieren und sagen: „Es ist mir Wurst. Sollen nicht transformierbare Unternehmen doch einfach zur Hölle fahren – sie würden eh dort landen.“ Kurz gefasst: Mit Blick auf viele mir bekannten Unternehmen kommt das Thema „Konversionsoptimierung“ nicht zu kurz, sondern: Es ist schlicht nicht existent. Blickt man von der strategischen auf die operative Ebene sieht es ähnlich aus: So lange Online-Verantwortliche nicht begriffen haben, welches Potential auch nur ein einfacher Test freilegen kann, so lange wird auch nicht begriffen, dass eine Investition in dem Bereich wertschöpfend sein kann.
Diesen Impuls kann man meiner Meinung nach zwar von externer Seite zünden, brennen muss das Thema allerdings dann intern von alleine. Konversions-Optimierung sollte integraler Bestandteil der Unternehmens-Strategie und des Unternehmens-Marketings sein. Wenn das verstanden wird, wird angenehm wenig über Ressourcen und Aufmerksamkeit diskutiert. Dann wird geplant, gemacht, gelernt, optimiert.
Du sprichst auf der Conversion Conference in Berlin, die am 4.-5. November stattfindet. Der Titel deines Vortrags ist „Situationsbewusste Conversion Rate Optimierung“. Warum ist dieses Thema so wichtig und relevant?
Weil ich zu oft mit ansehen muss, wie irre Geldmengen für unintelligente Werbe-Technologie verblasen wird. Hey! Wir sind Jahr 2014! Wir haben fett Daten! Wir haben krasse Algorithmen! Wir haben geile Technologie! Da sollte es smartere Methoden geben als statische Display-Ads für die Digital-Reklame, oder?
Was können die Konferenzteilnehmer von deinem Vortrag erwarten – und was erwartest du von den Teilnehmern?
Ich erwarte von den Teilnehmern dass kein Einziger sagt: „Ja, aber bei uns geht das nicht.“ Ok, das war ein Spaß. Von den Teilnehmern erwarte ich nur ein Mindestmaß an Aufgeschlossenheit, das ist auch schon alles.
Die Teilnehmer selbst erwartet eine lustige Runde mit tiefen Einblicken in aktuelle Praxisbeispiele für kontextuell angepasste, responsive und dynamische Online-Werbemittel und die korrespondierenden Landing-Pages. Wir schauen auf echte Zahlen, gucken uns Funktionsprinzipien an und ich lasse die Hosen herunter und erkläre was funktioniert hat – und was nicht funktioniert hat. Das erspart dem einen oder anderen hoffentlich ein paar Sackgassen.
Maschinelle Lernverfahren, Big Data, ganzheitliche Optimierung – dies alles sind 2014 heiße Themen. Glaubst du, diese Themen sind Hype oder eine bedeutende Veränderung der Conversion Optimierung?
Hinter jedem dieser Themen stehen viele smarte Menschen, die mit Energie und Leidenschaft beweisen, dass ihre Strategien und Methoden effektiv und effizient sind. Ein „Hype“ entsteht in der Regel erst dann, wenn reichweitenstarke Menschen mit ins Boot kommen, die die jeweilige Methode nicht vollständig verstehen, aber schon mal den am besten klingenden Teil breit kommunizieren.
Beispiel: „Big Data“ ist eine wunderbare Werkzeug- und Methodensammlung zur Evaluierung neuer Hypothesen. Im taktisch-operativen Bereich der Konversions-Optimierung macht das Thema auf unmittelbar steuernder Ebene kaum Sinn, weil es schlicht nicht praktikabel ist. Dennoch sehe ich oft Projekte, in denen genau in dieser Phase irre Datenmengen gesammelt werden, „um (irgend)etwas daraus herzuleiten und zu steuern“. Auf die Frage hin, weshalb Daten gesammelt werden, wenn diese keinem definierten Ziel dienen, kommt gerne die Antwort: „Weil es geht. Weil wir es können. Weil die Infrastruktur das hergibt.“ Diese Antwort wäre in der Wissenschaft legitim, in der Wirtschaft ist es ein untrügliches Indiz dafür, dass ein Verantwortlicher einem Hype-Thema und einem guten Verkäufer zum Opfer gefallen ist.
Welche Trends werden voraussichtlich die Conversion Optimierung in den nächsten 1-2 Jahren voranbringen?
Was ich mir wünschen würde: Der effizientere Umgang mit vorherigen Nicht-Konversionen wiederkehrender Besucher. Der Umgang mit „Smart Data“ statt Big Data. Und der intensivere Umgang mit „Small Data“. Perimeter-Systeme zur Vorqualifizierung von Besucherströmen. Und das Loslassen unsinniger Konversions-Paradigmen wie dauerhaft sequentielle Split-Tests ohne die Berücksichtigung kontextueller Parameter.
Und noch eine Frage: Welches ist dein favorisiertes Conversion Optimierungsinstrument oder –methode? Und warum?
Auf der Pfad-Ebene gehört die Dekonstruktion wohl zu einem meiner Lieblingsthemen. Aus meiner persönlichen Sicht ist das eine der effektivsten Methoden zur Freilegung einer großen Anzahl neuer Optimierungs-Potentiale. Abgesehen von dieser persönlichen Schwäche für diese Methode gibt nach wie vor die Analyse, Zielsetzung und Strategie den Weg vor – und nicht,“was Klein-Karlchen am Besten findet“. :-)
Vielen Dank, dass du dir Zeit genommen hast. Wir freuen uns, dich bald in Berlin begrüßen zu dürfen und sind schon sehr gespannt auf deinen Vortrag „Situationsbewusste Conversion Rate Optimierung“ auf der Conversion Conference.
…immer wieder schön, wie lässig Karl komplexe Zusammenhänge „abfrühstückt“!
:D
Schönes Interview! Auch spannend mal Karls Arbeitsplatz zu sehen… :-)